Es ist schön und komfortabel, dass in unserem Kirchspiel flächendeckend, regelmäßig und zu angenehmen Zeiten die Feier des Gottesdienstes angeboten werden kann. Welche Wertschätzung messen wir dem bei – oder kritisieren wir nur, wenn aufgrund von Personalmangel und Gemeindegliederrückgang in manchen Orten nicht mehr so viele Gottesdienste stattfinden können wie früher? Es gibt nicht wenige Regionen auf unserer Erde, wo ein- oder zweimal im Jahr ein Pfarrer in den Ort kommt, um den Gottesdienst zu feiern.
Der Sonntagsgottesdienst mit der Feier des Heiligen Abendmahls ist Quelle und Gipfel allen kirchlichen Lebens. Alle Initiativen, Gemeindeaktivitäten, Gruppen, Kreise, Generationen und Milieus kommen hier zusammen. Das ist unsere
Mitte, verankert im gekreuzigten und auferstandenen Christus, der hier zugegen ist, uns berührt und zu uns spricht. Von hier werden wir wieder ausgesandt, die Frohe Botschaft zu leben, welche die Welt verwandeln soll. Hier wird nicht von uns
Menschen etwas gemacht, sondern hier wird uns etwas geschenkt. Jesus Christus selber gibt sich uns und verwandelt unser Leben – wir sind die Empfangenden. Der Gottesdienst wird – im Bild gesprochen – an zwei Tischen gefeiert: Am Tisch des Wortes, der reichlich gedeckt sein soll – der Wortgottesdienst, und am Tisch des Sakramentes, in der Vergegenwärtigung von Tod und Auferstehung Jesu in den Gestalten von Brot und Wein, wie es nach seinem Auftrag im Heiligen Abendmahl vollzogen wird. Es ist derselbe Herr, der auch verkündet hat: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht. Im Glauben an diese Wahrheit nehmen wir in jeder gottesdienstlichen Feier die Worte der Heiligen Schrift auf – als Wort des lebendigen Gottes. Der unsichtbare Gott ist durch sein Wort gegenwärtig, er will unser Herz berühren und unser ganzes Leben ergreifen und verwandeln. An uns aber ist es, auf diese Ansprache zu antworten: durch unser Glaubensbekenntnis, durch Gebete und Lieder. Und durch ein Leben im Alltag, das von der Hoffnung erfüllt ist. Der Gottesdienst ist ein Gang an die Quelle. Die Erfahrung: Gottes lebendiges Wort führt uns zusammen zu einer Gemeinschaft. Dies wird u. a. dadurch deutlich, dass in den Gottesdiensten das Hl. Abendmahl gefeiert wird – als innige Verbindung untereinander und mit dem Herrn. Es ist außerdem die Erfahrung, dass sich in Gottes Wort für uns eine Perspektive auftut, die tröstet, heilt und stärkt.
Wir jedoch sollten uns im Hinblick auf den Gottesdienst fragen: Was ist es mir wert, dass ich diese Gottesbegegnung erleben kann? Welchen Einsatz und welche Zeit lass ich mir das kosten, welchen Verzicht auf allerlei Anderes? Gehe ich nur zum Gottesdienst, wenn es mir sehr bequem ist und gerade passt, oder fahre ich auch in den Nachbarort dafür? Welche Bedeutung hat die Gottesbegegnung in meinem Leben – gehört sie an den Rand oder in die Mitte?
Kantor Roy Heyne