Diese Evangeliumswahrheit widerspricht vorerst unserem natürlichen Empfinden. Freude über Verlust, arm sein – keiner möchte der Verlierer, der Arme sein, übervorteilt werden, den Kürzeren ziehen, nicht auf seine Kosten kommen. Die Armen selig – warum? Ist arm sein ein seliger Zustand? Dies könnte nur einer meinen, der Armut nicht kennt. Armut – in seinen unterschiedlichsten Arten – heißt: zu kurz gekommen bzw. minderbemittelt sein – und dies schmerzt. Unangenehm ist es, ärmer dran zu sein als die Mitmenschen. Oder wenn jemand etwas stiefmütterlich ausgestattet wurde; wenn einfach etwas fehlt, um anzukommen, Erfolg zu haben, etwas zu gelten, vielleicht nur ein paar Zentimeter Körpergröße, oder geistige Talente.

Manche fühlen sich arm, was Freundschaft und Liebe betrifft. Wo sie hinschauen, sehen sie frohe Zweisamkeit und selbst sind sie allein. Es gibt unzählige weitere Beispiele und Arten von Armut. Letztlich geht es um dieselbe Erfahrung: zu kurz gekommen, Verlierer, nicht bei den Ersten, sondern bei den Letzten sein.

Warum sollten also die Armen selig sein? Weil ihnen das Reich Gottes gehört. Es ist für diejenigen bestimmt, die in dieser Welt nicht ganz zu Hause sind, die hier nicht wunschlos glücklich, satt und zufrieden sind. Erdlösungsbedürftigkeit ist Voraussetzung für die Erlösung. Kommt her zu mir, alle, die ihr müselig und beladen seid; ich will euch erquicken. (Mt 11,28) Auf die kommende Welt, die Welt Gottes warten, dies gibt es nur bei Menschen, die irgendwie an ihrem Leben oder dieser Welt leiden. Solches Leiden an dieser Welt, ihrer Ungerechtigkeit und Grausamkeit – dies ist das Trauern bzw. Weinen, welches Jesus selig preist. (vgl. Lk 6,21) Aber dagegen: Weh euch Reichen! Denn ihr habt euren Trost schon gehabt. (Lk 6,24) Wenn heute Menschen kein Interesse mehr für den Glauben aufbringen, liegt es auch daran, dass sie zu reich sind und meinen, schon alles, was sie brauchen, zu haben. Reichtum ist Gefahr für Menschen. Wenige haben die Größe, mit Wohlstand und Erfolg so umzugehen, dass ihre Seele dabei nicht Schaden nimmt.

Es ist gut für uns, wenn auch wir einmal auf der Seite der Verlierer stehen, wenn wir benachteiligt, zurückgesetzt, gedemütigt werden, oder mit den Worten des Evangeliums: Wenn euch die Menschen hassen und euch ausstoßen … (Lk 6,22). Was nach gemeiner Anschauung Unglück ist, könnte unser wahres Heil sein. Im Rückblick werden wir es womöglich erkennen, gerade die Leidenserfahrungen waren heilsam. Sie machen uns reif und bereit, und bringen uns näher zu Gott und seinem Reich.

Einen gesegneten Sommer mit dem Reichtum der Gewissheit auf Gottes Heil wünscht Ihnen

Kantor Roy Heyne.